STIKO Stubenarrest
Eine Kritik der COVID-19 Impfempfehlung für 5–11-jährige Kinder
Verfasst am 10.06.2022
„Du bleibst solange am Tisch sitzen, bis du aufgegessen hast!“
– Warum eigentlich? Welches Motiv steht hinter dieser Anordnung?
Die Besorgnis um eine drohende Mangelernährung ist es in den allermeisten Fällen sicherlich nicht. Vielmehr soll das gewünschte Verhalten durch die Androhung von negativen Konsequenzen erzwungen werden. Möglicherweise soll auch Einsicht in die moralische Richtigkeit dieses Verhaltens erzeugt werden. In Afrika verhungern die Kinder, also sei dankbar und iss auf! Zudem hat die Erkenntnis, dass man nicht immer bekommt, was man will, ja schließlich auch noch nie jemandem geschadet. Das Leben ist ja kein Ponyhof. Es ist ein Zirkus. Und damit wären wir beim RKI und der STIKO.
Am 25. Mai 2022 hat die STIKO die Empfehlung für die COVID-19 Impfung für 5–11-jährige Kinder geändert und hält nun für alle Kinder dieser Altersgruppe vorsorglich eine Impfdosis für empfehlenswert [1]. Die Ziele dieser Impfempfehlung seien:
- „der Aufbau einer verstärkten SARS-CoV2-Basisimmunität [...]“,
- „die Verhinderung der sehr selten auftretenden schweren COVID-19-Erkrankungen [...]“,
- „die Reduktion indirekter Folgen von SARS-Cov-2-Infektionen, z. B. von Isolations- und Quarantänephasen“.
Die ersten beiden Ziele erscheinen zunächst nachvollziehbar – aber das dritte? Die Ausgestaltung der „indirekten Folgen“ werden ja maßgeblich durch das RKI bestimmt. Damit verfolgt die Impfempfehlung des RKI im Wesentlichen das gleiche Ziel, wie die elterliche Androhung von Stubenarrest, sollte der Sprössling sein Zimmer nicht aufräumen. Die Regeln der Autorität sollen eingehalten werden, weil ansonsten die Sanktionen der Autorität erfolgen. Ein Ziel der Impfempfehlung ist damit (auch) die Durchsetzung autoritärer Maßnahmen gegenüber 5–11-jährigen Kindern. Impft eure Kinder, sonst droht ihnen die Isolation! Diese Botschaft schwingt in dieser Zielsetzung der Impfempfehlung mit. Nun könnte man einwenden, dass die autoritären Maßnahmen durch das übergeordnete Ziel des Gesundheitsschutzes gerechtfertigt sind. Schließlich erlaubt man Kindern auch nicht den Konsum von Alkohol und Tabak. Allerdings lässt die wissenschaftliche Begründung der STIKO erhebliche Zweifel daran aufkommen, dass die Gesundheit der Kinder im Vordergrund der Impfempfehlung steht.
Wie schon bei der Begründung der Impfempfehlung für 12–17-Jährige drängt sich beim Lesen des Textes der Eindruck auf, dass die zusammengetragenen Daten mindestens ebenso gut geeignet wären, die Impfung nicht zu empfehlen. Dies werde ich im Folgenden anhand von zentralen Textpassagen der Begründung abschnittsweise dargelegen. Dabei liegt der Fokus auf der Impfung mit Pfizer/BioNTech's Impfstoff Comirnaty, da das RKI dieses Präparat explizit bevorzugt empfiehlt.
Epidemiologie
Die STIKO führt in diesem Abschnitt unter anderem folgende Punkte an:
- In den letzten Infektionswellen wurden bei den 5–11-Jährigen die höchsten Inzidenzen beobachtet. Einschränkend wird richtigerweise darauf hingewiesen, dass dies mit den routinemäßigen Testungen an Schulen zusammenhängt und dass viele „Infektionen“ symptomlos waren.
- Es wird geschätzt, dass rund 80 % der Kinder dieser Altersgruppe bereits mindestens einen Kontakt mit Sars-CoV-2 hatten, d. h. dass ein natürlicher Immunschutz aufgebaut wurde.
- Die Hospitalisierungsrate ist bei den 5–11 Jährigen im Vergleich aller Altersgruppen am niedrigsten. Das RKI weist darauf hin, dass die Hospitalisierungsrate überschätzt wird, da auch Fälle gezählt werden, in denen COVID-19 nicht die Ursache der Hospitalisierung war und lediglich ein positiver SARS-CoV-2 Nachweis im Rahmen der stationären Aufnahme erfolgte. Das Risiko eines Kindes ohne Vorerkrankungen wegen COVID-19 im Krankenhaus behandelt zu werden, wird mit 0,009 % beziffert.
- „ Auf Basis dieser Ergebnisse und der IfSG-Meldedaten muss angenommen werden, dass die Krankheitsschwere von COVID-19 bei den 5–11-Jährigen im Vergleich zur Gesamtheit aller Infizierten deutlich geringer ist.“
- „Mit Datenstand vom 21.04.2022 wurden an das RKI 9 Todesfälle im Alter von 5–11 Jahren übermittelt, bei denen COVID-19 als Todesursache angegeben war. Alle Kinder litten bereits vor der COVID-19-Erkrankung an schweren Grunderkrankungen [...]. Bei 3 Fällen handelte es sich um Totgeburten.“
- Von Mai 2010 bis Februar 2022 wurden in der Altersgruppe der 5–11-Jährigen in 375 Fällen das Pediatric Inflammatory Multisystem Syndrome temporally associated with SARS-CoV-2 (PIMS-TS) festgestellt. Dabei seien die Erkrankungsverläufe trotz des schweren Krankheitsbildes eher günstig gewesen. Ein Teil der Kinder hatte bekannte Komorbiditäten. „Die Häufigkeit von PIMS-TS bei Kindern und Jugendlichen nach SARS-CoV-2-Omikron-Infektion kann noch nicht abschließend beurteilt werden, allerdings weisen die Registerdaten eindeutig darauf hin, dass diese niedriger ist als unter der zuvor dominanten Delta-Variante.“
- In Bezug auf Long-COVID wird festgestellt, „dass eine andauernde Symptomatik bei Personen nach SARS-CoV-2-Infektion und Kontrollpersonen ähnlich häufig vorkommt und die Symptomatik sich wenig unterscheidet.“ Der Abschnitt schließt mit Verweis auf eine Studie: „Die Autoren kommen zu dem Schluss, dass Long-COVID bei Kindern und Jugendlichen insgesamt ein seltenes Ereignis ist, weniger schwer verläuft als bei Erwachsenen und meist von kürzerer Dauer ist.“
Als Zwischenfazit bleibt hier nur der Schluss, dass COVID-19 für gesunde Kinder keine ernste Erkrankung ist.
Impfeffektivität
- In der Zulassungsstudie von Pfizer/BioNTech mit 2186 Kindern im Alter von 5–11 Jahren waren in der Impfgruppe (1305 Kinder) drei COVID-19 Fälle und in der Kontrollgruppe (663 Kinder) 16 Fälle aufgetreten. Die Impfstoffeffektivität wird als relative Risikoreduktion mit 90,7 % angegeben.
- In Studien nach der Markteinführung liegt die geschätzte Impfeffektivität zwischen 0 % und 68 %. Besonders für die Omikron-Variante scheint der Impfschutz erheblich geringer zu sein als in der Zulassungsstudie und deutlich schneller abzunehmen.
- „Beobachtungsdaten zeigen eine deutliche Reduktion der Wirksamkeit gegen jegliche SARS-CoV-2-Infektionen von Comirnaty seit Auftreten der Omikron-Variante [...]“
- „Die Impfeffektivität zur Reduktion des Übertragungsrisikos von SARS-CoV-2 wurde bei 5 – 11-jährigen Kindern bislang nicht untersucht.“
- „[...] Daten aus Dänemark zeigen für ungeimpfte Personen ein um 7–21 % höheres Übertragungsrisiko der Omikron-Variante als für grundimmunisierte Personen (BA.1: Relatives Risiko (RR) 0,93 [95 % KI: 0,80–1,08]; BA.2: RR 1,21 [95 % KI: 0,97–1,50]).“ Diese Aussage ist eine Fehlinterpretation der Studienergebnisse. Die vom RKI in Klammern angeführten Werte beziehen sich auf die zwei in der Studie untersuchten Omikron-Varianten (BA.1 und BA.2). Das angegebene relative Risiko von 0,93 für die Omikron-Variante BA.1 bedeutet zunächst, dass nicht geimpfte Personen ein um 7 % niedrigeres Übertragungsrisiko hatten als geimpfte Personen. Allerdings wäre auch dies eine Fehlinterpretation, da aus den angeführten Konfidenzintervallen hervorgeht, dass für beide Omikron-Varianten (BA.1 und BA.2) der Wert 1 innerhalb des Intervalls lag. Konfidenzintervalle geben den Wertebereich an, in dem die Ergebnisse auf Basis der Stichprobe als plausibel angesehen werden können. Ein relatives Risiko von 1 bedeutet, dass das Risiko in beiden Gruppen gleich hoch ist. Statistisch gesehen sind die gefundenen Werte von 0,93 und 1,21 jeweils genauso plausibel wie der Wert 1. Die Daten geben also keinen belastbaren Hinweis darauf, dass sich geimpfte und nicht geimpfte Personen in der Übertragbarkeit der Omikron-Varianten unterscheiden.
- Eine zentrale Rolle für die Begründung der STIKO spielt das Konzept der hybriden Immunität. Gemeint ist eine Kombination von Immunität nach durchlaufender Erkrankung und zusätzlicher Impfung. Hierzu schreibt die STIKO, „Über die Schutzdauer nach durchgemachter Omikron-Infektion liegen bisher noch keine Daten vor. Studienergebnisse haben jedoch gezeigt, dass der auf Basis der Immunmarker anzunehmende Schutz vor erneuter Infektion bei Personen, die eine SARS-CoV-2-Infektion durchgemacht haben und anschließend eine Dosis einer mRNA-Impfung erhalten hatten, deutlich besser ist als der Schutz nach alleiniger SARS-CoV-2-Infektion.“ Mit einfachen Worten, die Impfung könnte also zusätzlichen Schutz zu bieten, allerdings fehlen Daten, um dies zu bestätigen. Der spekulative Charakter des Nutzens der hybriden Immunität wird dann noch deutlicher zum Ausdruck gebracht, wenn es heißt, „Bei einer zu erwartenden Zunahme der SARS-CoV-2-Infektionen im kommenden Herbst und Winter könnte man diese hybride Immunität in Abhängigkeit von der dann zirkulierenden Variante möglicherweise nutzen, um Kinder vor einer erneuten Infektion zu schützen.“ Skurrilerweise wird dieser spekulative Nutzen dann bereits im folgenden Satz relativiert: „Bei einer Impfung zum jetzigen Zeitpunkt wäre aufgrund des beobachteten waning [...] der Immunschutz gegen asymptomatische Infektionen sowie milde und schwere COVID-19-Erkrankungen zum Ende des Jahres allerdings schon deutlich reduziert.“ (Als „waning“ wird die rasche Abnahme des Immunschutzes bezeichnet.)
Wie immer beim RKI wird unterschlagen, dass die absolute Risikoreduktion in der Zulassungsstudie von Pfizer/BioNTech lediglich 2 % betrug (16 : 663 – 3 : 1305 = 0,02). Der Kehrwert der absoluten Risikoreduktion wird im Impfkontext numbers-needed-to-vaccine genannt und kann als die Anzahl Personen interpretiert werden, die geimpft werden müssen, um einen Erkrankungsfall zu verhindern. Diese Studie hatte somit gezeigt, dass im Beobachtungszeitraum 50 Kinder hätten geimpft werden müssen, um eine milde verlaufende Atemwegserkrankung zu verhindern. Schwere Erkrankungen traten in der gesamten Studie nicht auf. In der infantilen Sprache der Impfkampagnen hätte man plakatieren müssen, „50 Piekse verhindern eine Rotznase!“ Da aber (a) die Impfeffektivität gegen die Omikron-Variante deutlich geringer ist, (b) die Omikron-Variante im Allgemeinen zu milderen Krankheitsverläufe gegenüber vorherigen Varianten führt und (c) die Impfeffektivität schnell nachlässt, würde selbst diese Verniedlichung den Nutzen der Impfung übertreiben.
Sicherheit des Impfstoffs
- Auf 100.000 Impfungen wurden 1,14 schwere unerwartete Nebenwirkungen registriert.
- Bleibende Schäden oder Todesfälle habe es nicht gegeben.
- „Basierend auf den vorgestellten Daten wurden für Comirnaty keine neuen Sicherheitsbedenken identifiziert.“
Bedauerlicherweise – aber nicht überraschend – verliert das RKI kein Wort darüber, dass die bestehenden passiven Meldesysteme bekannt dafür sind, unerwünschte Nebenwirkungen in erheblichem Ausmaß zu unterschätzen. Beispielsweise wurde in einer Metaanalyse gefunden, dass die Untererfassung in der Hälfte der ausgewerteten Studien mehr als 94 % (Median) betrug [2]! Während man also bei Hospitalisierungen nicht unterscheidet, ob Patienten mit oder wegen COVID-19 eingeliefert werden und Totgeburten als COVID-19 Fälle deklariert, ignoriert man geflissentlich, dass die Nebenwirkungen mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit massiv unterschätzt werden. Dabei ist es eine Sache, dass gegen diesen bekannten Umstand seit Jahrzehnten nichts getan wird. Aber eine Risikoabschätzung, bei der Nutzen von Maßnahmen systematisch überschätzt und Kosten systematisch unterschätzt werden, kann nicht wissenschaftlich sein.
Fazit
Nach den Angaben des RKI ist COVID-19 bei gesunden Kindern keine schwere Erkrankung und die Impfeffektivität ist eher gering sowie von kurzer Dauer. Ob sich das Übertragungsrisiko durch die Impfung signifikant verringern lässt, ist unklar, allerdings hat das RKI schon zuvor festgestellt, „ [...] dass Kinder und Jugendliche eine untergeordnete Rolle bei der Weiterverbreitung von SARS-CoV-2 spielen.“ [3]. Die Melderate von Nebenwirkungen ist niedrig, wird aber unterschätzt.
Wie ergibt sich hieraus eine generelle Empfehlung der Impfung für alle gesunden Kinder im Alter von 5 bis 11 Jahren? Im Leitbild des RKI heißt es, „Wir arbeiten eigenverantwortlich, unabhängig und transparent.“ Die Kriterien für die Empfehlung sind jedoch ganz offensichtlich keinesfalls transparent. Aus den präsentierten Daten lässt sich weder ableiten, dass COVID-19 ein ernstes Gesundheitsrisiko für gesunde Kinder ist, noch dass die Impfung das ohnehin sehr geringe Risiko für schwere Erkrankungen bedeutend verringern. Salopp formuliert scheint die STIKO zu argumentieren, dass die Impfung aktuell zwar nicht viel bringt, aber auch wenig schadet. In dieser Situation scheint es auszureichen, wenn die Impfung theoretisch etwas bringen könnte. So schreibt die STIKO auch, „Diese Impfempfehlung wird vorsorglich ausgesprochen, weil ein erneuter Anstieg von SARS-CoV-2-Infektionen im kommenden Herbst bzw. Winter zu erwarten ist.“ Man sollte sich darüber im Klaren sein, dass diese Aussage letztlich genauso wenig evidenzbasiert ist, wie die Empfehlung, vorsorglich Knoblauch gegen Mücken zu essen. Die Belastbarkeit von Daten hängt nicht vom Glauben an die Wirksamkeit ab, sondern von der Wirksamkeit.
Warum also die Empfehlung, wenn die angeführten Daten mindestens ebenso gut genutzt werden könnten, die Impfung nicht zu empfehlen? Nach Ausschluss des Gesundheitsschutzes als Begründung bleibt das zu Beginn des Beitrags diskutierte Ziel der „Reduktion indirekter Folgen von SARS-Cov-2-Infektionen“. Hierzu abschließend Heinrich Hoffmann (aus Der Struwwelpeter):
Wenn die Kinder artig sind, Kommt zu ihnen das Christkind; Wenn sie ihre Suppe essen Und das Brot auch nicht vergessen, Wenn sie, ohne Lärm zu machen, Still sind bei den Siebensachen, Beim Spaziergehn auf den Gassen Von Mama sich führen lassen, Bringt es ihnen Gut's genug Und ein schönes Bilderbuch.
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Quellen
[1] Epidemiologischen Bulletin 33/2021. https://www.rki.de/DE/Content/Infekt/EpidBull/Archiv/2022/Ausgaben/21_22.html
[2] Hazell, L., & Shakir, S. A. W. (2006). Under-reporting of adverse drug reactions: A systematic review. Drug Safety, 29(5), 385–396. https://doi.org/10.2165/00002018-200629050-00003
[3] Epidemiologischen Bulletin 33/2021. https://www.rki.de/DE/Content/Infekt/EpidBull/Archiv/2021/Ausgaben/33_21.html