DenkFoul

nudging

Verfasst am 10.05.2020

Das Virus ist nicht gefährlich. Maskenpflicht ist nicht sinnvoll. Obduktionen sollten nicht durchgeführt werden. Repräsentative Stichproben sind nicht zielführend. Diskussionsorgien sind nicht erwünscht.

Vieles rund um das neue Coronavirus Sars-CoV-2, wird man – wenn überhaupt – erst in der Zukunft abschließend bewertet können. Eines jedoch steht bereits fest: Die Art und Weise, wie wir durch Politik und Mainstream-Medien informiert werden, ist eine Beleidigung für alle, die sich gern eine eigene Meinung bilden. Folgt man unter Schmerzen den offizellen Verlautbarungen der letzten Wochen, muss man den Eindruck gewinnen, dass alles getan wird, um eine differenzierte Meinungsbildung zu verhindern. “Angst macht dumm”, sagte Brecht. Es erscheint schwer vorstellbar, dass das aktuelle Ausmaß an Bevormundung der Öffentlichkeit ohne einen kollektiven Angstzustand möglich wäre. Ständig an die drohende Gefahr erinnert, laufen wir begeistert zur selbstisolierenden Höchstform auf. Wir isolieren uns von unserem Verstand und benehmen uns wie Teenager in einer Model-Castingshow, die dankbar sind für jeden Tipp, wie sie ihre eigene Meinung und Persönlichkeit ablegen können. Der vorläufige Höhepunkt dieser verstandsverächtlichen Politik ist die Maskenpflicht.

Die Wirksamkeit von Mund-Nase-Masken hat zweifellos – Achtung Wortspiel! – “Face Validity” (Augenscheinvalidität). Validität bedeutet Gültigkeit. Mit diesem Begriff wird zum Ausdruck gebracht, dass die Wirksamkeit der Maßnahme intuitiv als begründet (gültig) erscheint. Wenn der virenverseuchte Auswurf meines Gegenübers zum großen Teil in seiner oder ihrer Maske hängen bleibt, kommt weniger davon in meiner Atemluft an. Das leuchtet ein. In der Wissenschaft gilt die Augenscheinvalidität allerdings als die schwächste Form, mit der etwas auf Gültigkeit überprüft werden kann. Augenscheinlich ist auch die Annahme, dass die Sonne um die Erde kreist, vollkommen plausibel. Wissenschaft möchte sich in der Regel an objektiven Tests orientieren. Hier sind nun aber die Belege für die Schutzwirkung einfacher Mund-Nase-Masken vor viralen Atemwegserkrankungen nicht sehr überzeugend . Die Schutzwirkung von selbstgehäkelten, vollgesabberten und mehrfach verwendeten Behelfsmasken (neudeutsch Community-Masken) könnte natürlich höher sein, aber dazu gibt es bislang wohl gar keine Studien. Weiterhin könnte man vermuten, dass die Wirkung von Masken aus alten T-Shirts, BH-Körbchen, Damenbinden und sonstigen kreativen Eigenbauten unter anderem darunter leiden dürfte, dass die Anwendung im Alltag sich in erheblichem Ausmaß von der Benutzung von Masken in der professionellen Patientenversorgung unterscheiden. Der halbe, im Supermarkt im Gesicht getragene BH wandert, von ungewaschener Hand geworfen, nach dem Einkauf wieder auf den Beifahrersitz oder in die Handtasche. Die OP-Maske landet im Müll. Die gesamte Bevölkerung hygienisch sinnvoll mit einer ausreichenden Anzahl von Masken zu versorgen, ist schlichtweg unrealistisch. Während man es also auch nach vielen Wochen nicht geschafft hat, den Bedarf an professioneller Schutzkleidung für Kliniken, Arztpraxen und Pflegeinrichtungen zu decken, verpflichtet man die Bevölkerung zum Tragen von Masken, deren Wirksamkeit wissenschaftlich nicht ausreichend nachgewiesen ist und deren Beschaffung, bzw. eigene Herstellung eines gewissen Aufwands bedarf. Sprachlich schlägt sich die nicht nachweisbare Schutzwirkung dann auch in der Umbenennung des Mund-Nase-Schutzes in “Mund-Nase-Bedeckung” nieder.

Die Maske als Virusbarriere scheidet ohne wissenschaftlichen Nachweis als Begründung für eine Maskenpflicht aus. Als eine weitere mögliche Wirkung von Mund-Nase-Bedeckungen wird zum Beispiel vom Bundesamt für Arzneimittel und Medizinprodukte angeführt, dass sie “als Kleidungsstücke dazu beitragen, [...] das Bewusstsein für 'social distancing' sowie gesundheitsbezogen achtsamen Umgang mit sich und anderen sichtbar zu unterstützen” (1). Auch diese erhoffte psychologische Wirkung unseres neuen Lieblingskleidungstücks hat eine gewisse Augenscheinvalidität – aber auch nicht mehr. Eine Maske könnte dazu führen, dass ich mich daran erinnere, Abstand zu halten. Sie könnte genauso gut dazu führen, dass ich mich geschützt fühle und daher weniger Abstand halte. Mit dieser Begründung wurde bislang vom allgemeinen Tragen von Masken abgeraten. Es könnte auch sein, dass ich meine Gesprächspartner hinter ihrer Maske schlechter verstehe und ihnen daher dichter auf den infektiösen Pelz rücke. Und so weiter. Man kann auch annehmen, dass die Zahl von Verkehrsunfällen sinken würde, wenn alle Autos signalrot wären. Das hat bislang nicht zu einem Verbot nicht roter Autos geführt.

Die Verpflichtung zum Tragen einer Maske ist somit nur subjektiv und nicht objektiv begründbar. In einer Notlage kann das möglicherweise ausreichen. Die Maskenpflicht kann etwa dann durchaus nachvollziehbar begründet werden, wenn alle wissenschaftlich fundierten Maßnahmen bereits getroffen wurden und man die Bedrohungslage als so katastrophal hoch einschätzt, dass man sich an jeden Strohalm klammern möchte. Ist das der Fall? Am unteren Ende der Gefährlichkeitseinschätzungen steht der Vergleich mit der saisonalen Grippe. Dieser Vergleich wurde zu Beginn der Epidemie von Politik, Mainstream-Medien und den von ihnen bestellten Expert*innen regelmäßig bemüht. Mit der gleichen Routine wird er nun von denselben Leuten als gefährliche Verschwörungstheorie geächtet. Am oberen Ende der Gefährlichkeitseinschätzungen stehen Vergleiche, die sich durch die Abgrenzung zum unteren Ende der Skala definieren. Mit anderen Worten, man geht davon aus, dass die Erkrankung um den Faktor X gefährlicher ist als die saisonale Grippe. Auf jeden Fall scheint klar zu sein, dass die Sterblichkeit von Covid-19 nicht mit der von Erkrankungen wie Ebola oder Tollwut zu vergleichen ist. Viele Tote gibt es somit nicht, da das Virus allgemein besonders tödlich wirkt, sondern da sich sehr viele Menschen anstecken und dann ein kleiner Teil von diesen sehr vielen an der Erkrankung verstirbt. Eine größere Wahrscheinlichkeit zu sterben, besteht dabei vorwiegend für Menschen mit bestimmten Vorerkrankungen, insbesondere in höherem Lebensalter. Die breite Masse der Bevölkerung ist durch das neue Virus demnach eher nicht in Leib und Leben bedroht. Es geht folglich um den Schutz der Risikogruppen und darum, ob alle wissenschaftlich fundierten Maßnahmen bereits eingesetzt wurden und die Bedrohungslage dennoch so hoch ist, dass auch zu dem Strohhalm der nur subjektiv begründbaren Maskenpflicht gegriffen werden sollte. Ist dies der Fall?

Nach den Zahlen des RKI sinkt die Zahl der Neuerkrankungen bereits seit Mitte März. Am 27.04.2020 sind laut RKI 41 % der registrierten Intensivbetten an deutschen Kliniken frei. Was also deutet demnach auf eine außergewöhnliche Überlastung des deutschen Gesundheitssystems hin? “Die Krise ist noch nicht vorbei”, ist keine Antwort auf diese Frage! Ebenfalls am 27.04.2020 wird das Tragen einer “Mund-Nase-Bedeckung” (RKI) im ÖPNV und im Einzelhandel in den meisten Bundesländern verpflichtend eingeführt. Dabei hat man auch noch die Chuzpe, die Verantwortung für die Einhaltung der “Bedeckungspflicht” den Verkehrsbetrieben und Einzelhändlern selbst aufzubrummen. Und statt Vater Staat für die Übertragung dieser polizeilichen Aufgaben einen Vogel zu zeigen, freut man sich, an der Erziehung der Herde mitwirken zu können. So verkündet der Sprecher des Hamburger Verkehrsverbunds am 28. April: „Ich neige nicht zu Übertreibungen, aber es läuft großartig“ (2). Ich weiß nicht, ob mein Vermieter ähnlich glücklich sein wird, wenn er demnächst sicherstellen muss, dass sein Mieter keine verbotenen Fake News liest oder schreibt. Ausschließen kann man das wohl nicht.

Dass Risikogruppen geschützt werden müssen, ist vollkommen unstrittig. Es ist aber auch unstrittig, dass bei der Bekämpfung von Gesundheitsrisiken in der Regel verschiedene Interessen gegeneinander abgewogen werden. Das klingt grausam und unmenschlich, ist aber trauriger Alltag. So wird die Freiheit, ein nicht signalfarbenes Auto zu wählen, in unserer Gesellschaft höher bewertet als die mögliche Reduktion von Unfallzahlen. Das Recht, Produkte wie Tabak und Alkohol zu vertreiben und zu bewerben, wird über den immensen gesundheitlichen Schaden gestellt, den der Konsum dieser Produkte verursacht. Ebenso führt die Reduzierung der Lebenserwartung durch Armut nicht dazu, dass das alles Menschenmögliche getan wird, um Reichtum zum (gesundheitlichen) Wohl der Armen anders zu verteilen. Da ist es schon bemerkenswert, dass in der aktuellen Krise dem Schutz der Risikogruppe uneingeschränkte Priorität beigemessen wird und alle volkswirtschaftlichen und gesellschaftlichen Schäden, die mit dem sogenannten Lockdown einhergehen, in Kauf genommen werden. Körperliche und psychische gesundheitliche Schäden von anderen Gruppen, deren Krankheits- und Sterberisiko durch die Isolationsmaßnahmen steigen, kommen offenbar ebenfalls in der gemachten Rechnung nicht vor.

Nach der 180-Grad-Abkehr der Regierung von ihrer anfänglichen Beschwichtigungspolitik (“milderer Verlauf als bei der Grippe”, Gesundheitsminister Spahn am 23.01.2020; [3]) orientiert sich die Politik offenbar ausschließlich am “Worst-Case” Szenario, d.h am denkbar schlimmsten Ausgang. Dabei wird eine Haltung an den Tag gelegt, die sich nicht zwischen der direkten Zwangsherrschaft und dem sogenannten libertären Paternalismus entscheiden kann und deshalb Kennzeichen von beidem trägt. Von libertärem Paternalismus spricht man, wenn der Staat verschiedene Tricks (“Nudges”) einsetzt, um das Verhalten von Menschen in seinem Sinne zu lenken. Libertärer Paternalismus kommt etwa zum Ausdruck, wenn in dem geleakten Strategiepapier des Bundesinnenministeriums Kommunikationsmaßnahmen beschrieben werden, um eine “Schockwirkung” in der Bevölkerung zu erzielen (4). So solle beispielsweise verdeutlicht werden, dass Kinder schrecklich darunter leiden werden, wenn sie sich aufgrund unterlassenen Händewaschens für den qualvollen Tod von Familienmitgliedern verantwortlich fühlen müssten. Wenn man noch nicht wusste, wessen Geistes Kind unsere Regierungsvertreter*innen und ihre Beraterstäbe sind, kann man für diese Klarstellung nur dankbar sein. Ein Eintreten für das individuelle Recht auf Selbstbestimmung und die Befähigung zur eigenen Meinungsbildung kann man von diesen Leuten nicht erwarten.

Mit libertärem Paternalismus geht die Auffassung einher, dass die staatlichen Akteure besser wissen, was für das Volk richtig und gut ist, als es das Volk selbst wissen kann. Man geht davon aus, dass Aufklärung aufgrund der Beschränktheit des menschlichen Verstandes von vornherein sinnlos ist und deshalb Entscheidungen für das Wohl des Volkes gegen den irrationellen Willen des Volkes getroffen werden müssen. Das logische Problem, dass auch der Verstand der Entscheidungsträger beschränkt ist, wird dabei ausgeblendet. Der Psychologe und Direktor des Harding-Zentrums für Risikokompetenz am Max-Planck-Institut für Bildungsforschung in Berlin, Gerd Gigerenzer, weist in seiner Abrechnung mit dem libertären Paternalismus darauf hin, dass die Entscheidungsträger in der Regel eben nicht die wohlwollenden Weisen (“benevolent philosopher-kings”) seien, als die sie dargestellt werden (5). Er führt drei Probleme an, unter denen die Entscheidungen von Experten im Gesundheitswesen leiden:

  1. Sie entscheiden häufig so, dass sie für mögliche negative Folgen ihres Handelns juristisch nicht zur Verantwortung gezogen werden können.
  2. Sie verstehen statistische Zusammenhänge nicht ausreichend.
  3. Sie unterliegen Interessenskonflikten.

Gigerenzer nennt diese Trias das SIC-Syndrom: Self-defence (Selbstverteidigung), Innumeracy (Unfähigkeit zu rechnen) und Conflict of Interests (Interessenskonflikte). Ein Blick auf das Wirrwarr der bisherigen Entscheidungen legt nahe, dass das SIC-Syndrom beim Management der Krise eine wichtige Rolle spielt.

Es ist ein Stück weit verständlich, dass sich zu Beginn das politische Handeln am Worst-Case-Szenario orientierte. Niemand will nach der Krise für vermeidbare Todesfälle politisch und moralisch verantwortlich gemacht werden. Man sollte es der Politik aber auch nicht zu leicht machen und dieses Totschlagargument kritiklos akzeptieren. Politiker*innen stellen sich zur Wahl, um Verantwortung zu tragen. Wir dürfen von ihnen verlangen, dass sie sich nicht vorab gegen unbequeme Kritik immunisieren. Entscheidungen als alternativlos zu erklären, stellt eine weitere Immunisierungsstrategie dar, die natürlich im Kontext von Covid-19 breite Verwendung findet. Ein solches Nichtargument einfach abzunicken, bedeutet, Dieters und Heidis Ratschläge für den nächsten Castingauftritt unterwürfig, ohne eigene Reflektion zu verinnerlichen. Verdienen Corona-Heidi und Covid-Dieter aufgrund ihrer überragenden Kompetenz dieses Ausmaß an Vertrauen?

Blickt man auf die Reihe von wissenschaftlichen Ungereimtheiten, die das Robert-Koch-Institut (RKI) produziert hat und weiter produziert, müssen an der Kompetenz und/oder an der Agenda der Behörde Zweifel aufkommen. Die von Beginn an suggerierte Gleichsetzung von positiv getesteten Menschen mit erkrankten Menschen widersprach bereits den Prinzipien guter wissenschaftlicher Praxis. Weiterhin wurde und wird teilweise noch immer die Anzahl der positiven Testergebnisse nicht in Beziehung zu der Anzahl durchgeführter Tests gesetzt. Über die Güte der verwendeten Testverfahren existieren zudem kaum Angaben. Völlig unverständlich ist aus wissenschaftlicher Sicht die ursprüngliche Empfehlung des RKI, Verstorbende besser nicht zu obduzieren. Diese Vorgabe versetzt einen in die mittelalterliche Fantasiewelt des Romans Der Medicus. Dort wird der pathologiebegeisterte Protagonist im fernen Persien für eine verbotene Leichenöffnung zum Tode verurteilt. Hier wird ein renitenter Hamburger Rechtsmediziner medial ausgeweidet. Auch die Aussage des RKI-Leiters Wieler, dass man repräsentative Bevölkerungsstichproben für “nicht sehr zielführend” halte, entsprechende Studien dann aber ein paar Tage später angekündigte, lässt nicht darauf schließen, dass die Entscheidungsträger mit mehr Fachkenntnissen gesegnet sind, als wir Normalsterblichen. Das Fass mit Interessenskonflikten der Entscheidungsträger soll an dieser Stelle gar nicht erst nicht geöffnet werden. Mögen sich Dokumentationen wie “Profiteure der Angst” und “TrustWHO” exponentiell verbreiten!

In der Zusammenschau wird von uns, den Teilnehmer*innen dieser Show, verlangt, dass wir den zweifelhaften Entscheidungen von Leuten mit fragwürdiger Kompetenz, zwielichtigem Menschenbild und unklaren Eigeninteressen blind folgen. Ich bin gespannt auf die nächste Staffel. ❖


Quellenangaben:

(1) https://www.bfarm.de/SharedDocs/Risikoinformationen/Medizinprodukte/DE/schutzmasken.html (letzter Download am 01.05.2020)

(2) Bergedorfer Zeitung vom 28.04.2020, https://www.bergedorfer-zeitung.de/bergedorf/article228999897/So-gewissenhaft-tragen-die-Bergedorfer-ihre-Masken.html (letzter Download am 01.05.2020)

(3) Gesundheitsminister Spahn, tagesthemen 22:15 Uhr, 23.01.2020, https://www.tagesschau.de/faktenfinder/spahn-corona-113.html (letzter Download am 01.05.2020)

(4) https://fragdenstaat.de/dokumente/4123-wie-wir-covid-19-unter-kontrolle-bekommen/ (letzter Download am 01.05.2020)

(5) Gigerenzer, G. (2015). On the Supposed Evidence for Libertarian Paternalism. Review of Philosophy and Psychology, 6(3), 361–383. https://doi.org/10.1007/s13164-015-0248-1

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